Mittelbayerische Zeitung vom 28. April 1994

Ruhe, Rippen und Rundungen

Angela Stössers Terrakotta-Skulpturen in der Regensburger Sigismund-Kapelle


Ganz einfach für schön befand Bürgermeister Walter Annuß nach einiger Wortsuche bei einführender Rede die Terrakotta-Skulpturen von Angela Stösser in der Sigismund-Kapelle. Und zwei Besucherinnen kommentierten im Anschluss beim Gang von Stück zu Stück unisono: "Ja, des g'fallt mer, und des aa ... ." Recht haben alle, die sich in diese Richtung äußßern, und dieses eher subjektive Empfinden dürfte durchaus den Intentionen der Künstlerin entsprechen.

Aber freilich will sie mehr. "Der künstler begibt sich ohne Netz aufs Trapez - etwas von seiner Seele wird im Werk unsterblich", schrieb Frau Stösser. Sie hat sich auf die Suche nach Zusammenhängen zwischen Mensch und Natur gemacht. Entstanden sind zahlreiche Variationen eines Themas. Abstrahierte Frauengestalten, mal miteinander korrespondierend, mal aussagestark für sich selbst. Der Dialog mit der Natur beginnt schon bei der Wahl des Materials: Ton, ein Verwitterungsprodukt aus feldspathaltigem Gestein, ein Teil der Erdoberfläche also. Den roten Farbton erzielt Frau Stösser mit feinst zermahlenem, eisenhaltigem Material, vermischt mit Oberpfälzer Schamotte. Gebrannt wird bei etwa 800 Grad im Elektroofen; der Werkstoff oxidiert zu Terrakotta.

Bei diesen Skulpturen - sie tragen Namen wie Virgo, Concordia, Natalie, Fruchtbarkeit und Ähnliches - ist nichts dem Zufall überlassen. Die Oberflächen scheinen von Konsistenz und Farbe her ebenmäßßig wie frischgebrannte Dachziegel. Spannungen ergeben sich im Mit- und Gegeneinander von tragenden Rippen und Wölbungen, die den menschlichen Körper in verschiedenen Stellungen - Ruhe oder Bewegung - darstellen. Signalisiert werden bestimmte Gemütsverfassungen vom Geborgenheitsgefühl über Unruhe bis zu gelassener Heiterkeit.

Die Sigismundkapelle ist als Ausstellungsort immer wieder von besonderem Reiz. Oft macht's der Kontrast zwischen sakralem Raum und Exponat, in diesem Fall aber überrascht die vollkommene Harmonie: Rippen als tragendes Element der gotischen Baumeister, Wölbungen als befreiendes architektonisches Element. Dieses Prinzip hat Angela Stösser aufgegriffen und in immer neuen Spielarten weitergeführt. Plastisch gemacht wird der Ursprung aller Kreatur und seine Weiterentwicklung.

Keine dieser Figuren hat Vorder- oder Rückseite, sie wollen als Ganzes begriffen werden (auch im Wortsinn). Wolfram Schmidt hat das in meisterlicher Art mit der Kamera gemacht. Seine gleichzeitig ausgestellten Fotografien sind perfekte Ergänzung zu Angela Stössers schöner Damengesellschaft (...).