Mittelbayerische Zeitung vom 8.November 1993

14 Tage Kunst-Kampf mit profanen Rohren

Das Keramik-Symposium Ponholz und die Ergebnisse im Regensburger Salzstadel / Neun Künstler und 90 Antworten


Jeder hat sie irgendwo schon einmal gesehen: Braunschimmerne Röhren, dicke und dünne, mit Wülsten, Ausstülpungen, Krümmungen, säuberlich genormt mit strengen Zahlreihen, zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Zu nahe kommen mag man ihnen nicht. Sie wirken brüchig und verschwinden alsbald auf Nimmerwiedersehen in den Eingeweiden unserer Häuser und Straßen. Später wird man sich ihrer Existenz in der Regel nur bei Pannen bewusst. "Rohrbruch" heisst es dann und bringt nur Verdruss.

Ganz andere Erfahrungen haben neun Künstler bei einem Keramiksymposium im oberpfälzischen Ponholz gemacht. Sie hatten keinerlei Berührungsängste, machten sich für zwei Wochen auf eine Entdeckungsreise besonderer Art in den Schamotte- und Tonwerken Ponholz. Die vielfältigen Ergebnisse ihrer Arbeit wurden jetzt in den Regensburger Salzstadel an der Steinernen Brücke gebracht.

Eine faszinierende Ausstellung

Zustande kam eine in mehrfacher Hinsicht faszinierende Ausstellung. Zum einen scheint der großzügige Raum optimal: Holz und Ton, gutes Licht, vor den Fenstern das Wasser - hier von Röhren ungebändigt - da passt einfach alles zusammen. Und dann natürlich die Arbeiten selbst. Alle Künstler hatten die gleichen Arbeitsbedingungen, den gleichen Werkstoff. Was herauskam, könnte unterschiedlicher kaum sein. - Aber schließlich wurde einem on-dit zufolge ja auch der Urmensch aus einem Erdklumpen geformt. Und was das Einhauchen von Seele anbelangt, hatten die "Sieben Ponholzer" offenbar schier unerschöpflichen Atem.

Zu danken ist das Zustandekommen dieses Symposiums dem Engagement von Brigitte und Hawke Knyrim, die sich mit ihrer noch jungen Ost-West-Galerie erfolgreich der Förderung von Keramik-Kunst verschrieben haben. Ebenso ist zu danken der Unterstützung und Offenheit von Belegschaft und Leitung der Ponholzer Fabrik unter Leitung von Direktor Burchard. Über eine mögliche Fortsetzung wird schon laut nachgedacht. Klaus Schultze, Professor für Keramik an der Akademie der Bildenden Künste, München, schreibt im Katalog, der zugleich den Arbeitsprozess dokumentiert: "Das Rohr, eine fertige, funktionsbestimmte keramische Form, lädt uns wie eine spröde Dame ein, unsere Verführungskünste an ihr zu erproben. Manchmal erblüht sie, wird schöner, manchmal war sie vorher frischer." Hierzu muss freilich gesagt werden: Den Künstlern war die Möglichkeit gegeben, ihren Werkstoff in unterschiedlichsten Phasen des fabrikmäßigen Verarbeitungsprozesses zu nehmen. Grundmasse war nicht ausschließlich die schon erstarrte, gebrannte Form.

Sehr viel Lust am Rohr ...

Relativ eng an Vorgegebenes habesn sich Karin Mann und Heiner Wein gehalten. Skurril - an Ausserirdische oder Roboter erinnernd - sind Weins Rohrköpfe und streng zylindrische Figuren. Er kombiniert mit Metallteilen, ritzt, schabt, setzt Farbakzente. Der "Urform" ebenso verbunden ist Karin Manns prachtvolle Katze, die Lieblings-Sitzmöbel in einem Kundergarten werden könnte. Weiter hat sie Riesenperlen gestaltet, auch Stelen und Türme, die ihrer Rundung größtenteils verlustig gegangen sind.

Viel Lust am Rohr hat auch Professor Schultze. Da sind Türme, abstruse Fuß-Köpfler, ein zauberhaftes "Ringweible", ein Paar, das auch im Badezimmer nicht überrascht würde, Schlachtschiffe und Flugzeuge, raumhohe Skulpturen. Ein Röhrentorbogen wird von einem Paar gekrönt. Schultze kombiniert mit spielerischer Leichtigkeit eigene Gestaltung mit maschinell gefertigter Strenge, Metall und Farbe. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ganz andere Wege geht Angela Stösser. Zu Spiralen aufgeschnitten hat sie ihre Rohre und mit Gold verfremdet oder zu harmonisch weichen Figuren geformt, streng stilisierten Madonnen gleich. Mit nur einer Arbeit ist Petra Stastna vertreten. Becken und Hinterläufe eines Tiers kauern da, riesengroßes Symbol der Vergänglichkeit. Man befühlt die grauschimmernde Oberfläche, denkt an echte Skelette und "erfasst" Röhrenknochen und tönerne Wölbungen. Nica Haug baute Türme und Figuren, auch ein Träger-Hemdchen, nierenförmige Schwimmsteine, die wie Holz aussehen, und ein lustiges rotes Kissen mit weißen Tupfen, ganz samtig - aber die Oberfläche ist hier trügerisch.

Nichts mit Rundungen oder weicher Struktur hat Michael Skoda im Sinn. Seine Objekte sind schartig, scharfkantig und abweisend. Ganz und gar anders wieder Vaclav Serak. Mit Schultze (1927 geboren) gehört er (Jahrgang 1931) zur älteren Generation der vertretenen Künstler. In Prag hat er studiert, arbeitete als Designer in der Porzellanindustrie und ist seit 1990 Professor und Leiter der Keramikabteilung an der dortigen Hochschule. Seine Reliefs sind im Wortsinn vielschichtig. Zu erahnen ist eine gedrehte Schale, zerborsten, versetzt, notdürftig zusammengefügt. Auch Elemente der Architektur mit gedrehten Säulen, brüchigen Portalen und Rosetten finden hier Eingang: Wunderschön anzuschauen in der trügerischen Poesie von Ruinen.

Menschliche Ruinen hat Hawke Knyrim festgebrannt. Man steht verblüfft vor zwei aufgeschnittenen Sarkophagen und liegt mit dem ersten Eindruck gar nicht falsch. "Vermessenheit der Vermessung" hat Knyrim die beiden lebensgroßen "Guckkästen" genannt. "Lebensgroß" stimmt, und vermessen haben Leonardo und Dürer, die sich mit menschlichen Proportionen sehr genau auseinandergesetzt haben. Kürzlich entflammte Debatten um Chaos-Theorien haben den Künstler inspiriert, und er könnte sich eine Fortsetzung seiner "Maßarbeit" bis hin zu Le Corbusier gut vorstellen.

Der erste Schritt war rein technisch ein Experiment, etwas ganz Neues, das geglückt ist: In aufgeschnittene flache Tonkästen eingebettet wird die liegende Figur, der Anatomie entsprechend geformt aus "Schlickerpapier". Sägespäne, Salz und schließlich Metallplatten kommen drauf und beim Brennvorgang (extrem heiß bei 1300 bis 1800 Grad) entstehen diese "Bilder". Auch in anderen Arbeiten, den "Hüllen", setzt Hawke Knyrim sich mit dem Gegeneinander von Natur und zerstörerischem Menschenwerk auseinander: Auf verkohlte Birkenstämme gleichsam "aufgepfropft" sind sonderbare Wurmfortsätze aus Ton, kombiniert mit anderem Material. - Man kann lange rätseln übers Wie und Warum.

9 Künstler und 90 Antworten - die Ausstellung im Salzstadel, die oft schweisstreibende Arbeit im Ponholzer Werk (Nica Haug sprach von "Ton-Exercitien"), all das hat sich unbedingt gelohnt, ist im Ergebnis weit über den Oberpfälzer Raum hinaus einmalig und richtungsweisend. Wer mit Keramik etwas im Sinn hat, kann auf eine Fortsetzung nur gespannt sein. Und für die Galeristen Knyrim ist noch eine Rechnung aufgegangen: Künstler aus der Ex-Tschechoslowakei mit ihrer hochkarätigen Keramikszene auch hier befruchtend werden zu lassen. (...)