DIE WOCHE vom 5. Mai 1994

Angela Stössers Skulpturen

Die schöne Form


Wieviel ist Geometrie in menschlicher Form? Flächen und Linien und ihr harmonisches Zusammenspiel, auch ihre überraschenden Kontraste: Angela Stösser erforscht in ihren Terrakotta-Skulpturen das Formenspiel am weiblichen Körper. Kugel, Kubus, Ellipse: Die Körperlandschaft hat Grundstrukturen, die sich vielfältig variiert zu einem Ganzen fügen. Angela Stösser ist dem Formschönen auf der Spur. Spannung liefert das Licht- und Schatten-Spiel. In der Sigismundkapelle des Thon-Dittmer-Palais zeigt die Künstlerin ihre figuralen Schöpfungen (...).

Angela Stösser lässt sich weniger vom bildnerischen Mainstream forttragen. Sie ist einer Ästhetik der leichten Abstraktionen der 50er und 60er Jahre verpflichtet. Sie sucht die Vollendung in der Schönheit und der Ruhe, im Gleichklang.

Professor Hermann Leber erinnerte bei der Ausstellugseröffnung an das Diktat des Kunstbetriebs, der sich aktuell geriert: das Neue und so noch nicht Dagewesene zu zeigen. Das Rennen nach der Innovation um jeden Preis macht Angela Stösser nicht mit. Sie fühlt sich einem Postulat Paul Klees verpflichtet, das Professor Leber ebenfalls anmahnt: die Zwiesprache mit der Natur als unablässliche Bedingung für künstlerisches Schaffen.

Die bildnerischen Bemühungen der Künstlerin gelten dem Weg zur letztgültigen Form - ein sehr meditativer, auch etwas religiöser Ansatz, der sich viel stärker in fernöstlichen Kulturen erhalten hat.

Die Harmonie des Ganzen steht in Spannung zum Detail. Die fließenden Linienführungen konstituieren nicht nur die Flächen. Sie markieren auch die Grenzen zwischen Schatten- und Lichtbereichen.

Angela Stössers Skulpturen haben nicht nur eine Schauseite. Sie präsentieren sich von allen Seiten überraschend anders.

Zur Formen- und Linienharmonie kontrastiert das Erdige der Materialoberfläche. In der Ausstellung sind - mit einer Ausnahme - nur unglasierte Skulpturen zu sehen. Der rotbraun gebrannte Ton mit seiner porös anmutenden Oberfläche lässt den Vergänglichkeitsgedanken gegenwärtig sein.

Mit der Ausstellung wird auch ein Kommunikationsexperiment gewagt. Zu den Skulpturen hängen Schwarz/Weiß-Fotografien von ihnen dahinter (Wolfram Schmidt). Da ist nicht Flachware an den Wänden. Die verstärkte Lichtführung betont die Hell-Dunkel-Effekte der Oberflächenformen, aber auch ihre lebhaften Strukturen.

Angela Stösser hat ihre eigene Formensprache, mit der sie sich sehr gefühlsbetont auszudrücken versteht.

(Harald Raab)